|
|
Zur Entstehung des Kindergottesdienstes - seine Geschichte
Die Geschichte des Kindergottesdienstes ist eine Geschichte der
Veränderung und Anpassung an die Gegebenheiten.
Der Kindergottesdienst ist jünger, als gemeinhin vermutet werden
würde. 1780 wird als Geburtsjahr des Kindergottesdienstes genannt.
Und doch sind Name und Zielsetzung des Kindergottesdienstes damals
und heute völlig unterschiedlich.
In der englischen Industriestadt Gloucester fand damals in der
Küche einer Witwe die erste "Sunday School" statt. Ziel
war es, den verarmten und unter der Woche arbeitenden Kindern
anhand der Bibel das Lesen und Schreiben beizubringen, um sie so
mit der frohen Botschaft bekannt zu machen. Pädagogische,
diakonische und missionarische Ziele gaben sich die Hand. Der
Initiator Robert Raikes, ein Zeitungsverleger und
Druckereibesitzer, ging bereits nach drei Jahren mit seiner
Initiative so erfolgreich an die Öffentlichkeit, dass auch
andernorts immer mehr dieser Sonntagsschulen entstanden, bis knapp
100 Jahre später, 1870, die allgemeine Schulpflicht in England
eingeführt wurde.
Das Modell der Sonntagsschule wurde schon 1786 erfolgreich nach
Nordamerika exportiert. Allerdings diente es dort nicht dem
Elementarunterricht, der hier allen Kindern bereits offen stand,
sondern allein der biblischen Unterweisung. Durch die strikte
Trennung von Kirche und Staat übernimmt die Sonntagsschule dort
bis heute die Aufgabe, die bei uns der Religionsunterricht hat.
Das Modell wird "zu einem geschlossenen Unterweisungssystem
für alle Altersstufen (auch
Erwachsene!)" ausgebaut - bis heute!
Daraus abgeleitet ist zu fragen, ob der
Kindergottesdienst in Deutschland unter dem Aspekt des
Gemeindeaufbaus nicht noch ein ungeahntes Potential birgt, das
einen weitaus größeren Teil der Gemeinde - zumindest noch
Jugendliche, wenn nicht sogar Erwachsene - ansprechen und fördern
und zu geistlichem Wachstum beitragen könnte? Denn eines ist immer
wieder festzustellen: Kindergottesdienstbesucher - ob Kinder oder
Helfer - wissen mehr!
In Deutschland finden die Sonntagsschulen erst gegen 1830 von
Hamburg aus Verbreitung. Namen wie J.G. Oncken und J.H. Wichern
sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Letzterer fordert in seiner
berühmt gewordenen Stegreifrede 1848 auf dem Wittenberger
Kirchentag für sein Konzept der Inneren Mission eine
Sonntagsschule nach englischem Vorbild. Er benutzt dabei auch
immer wieder den von seinem Freund E. Gleiß ein Jahr zuvor
geprägten Begriff "Kindergottesdienst".
Was 1786 nach Amerika exportiert und konsequent auf amerikanische
Verhältnisse angepasst wurde, kommt 1863 wieder in die alte Welt
zurück. Auch in Deutschland wird dafür geworben, dass "biblischer Unterricht in "Klassen" mit
missionarisch-erwecklichem Ziel, getragen von freien
Sonntagsschulkreisen und -verbänden", ein- und durchgeführt werden soll.
Im nächsten Schritt soll Sonntagsschule als Kindergottesdienst
gefeiert werden. Mit der Betonung der gottesdienstlichen Feier
weicht das Misstrauen der Kirchen- und Schulbehörden. Damit wird
die Laienbewegung aber auch gleichzeitig - mit allen Vor- und
Nachteilen - den Pfarrern unterstellt.
So wird das amerikanische Modell auf die deutschen Verhältnisse
angewandt und konsequent als Weg von der Sonntagsschule zum
Kindergottesdienst gegangen. 1882 wird in Bremen auch der
Namenswechsel offiziell beschlossen. Der Kindergottesdienst ist
damit ein Produkt der volkskirchlichen Situation in Deutschland
und mehr oder weniger auch darauf beschränkt!
Der methodische Zugang hat sich nun im Laufe der Jahre immer
wieder verändert. War um 1930 das sich entwickelnde Gespräch der
Mittelpunkt, wurde etwa 20 Jahre später viel mehr der
verkündigende Charakter betont. Im Gefolge davon wurde
verschiedentlich sogar eine Kinderpredigt gefordert.
Methodisch durchsetzen konnte sich aber vielmehr die
Helfererzählung. W. Wiese urteilt über sie: "Die gute
Helfererzählung ist die wahre Kinderpredigt."
Im heranwachsenden Medienzeitalter finden auch immer mehr dieser
Medien Einzug in den Kindergottesdienst. Wurden in meiner Kindheit
als besonderes Highlight Langspielplatten im Kindergottesdienst
vorgespielt, werden heute Videos auf Großbildleinwand projiziert.
Es entstehen immer mehr neue Lieder, es gibt wohl kein
Musikinstrument, das nicht im Kindergottesdienst möglich wäre. Was
den Kindern in der Erzählung oder gar im Anspiel eindrücklich
geworden ist, soll ganz bewusst im Anschluss von den Kindern z. B.
durch Malen, Basteln, Stegreifspiel u. v. m. zum Ausdruck gebracht
werden. Überhaupt gewinnt m. E. ein kreativer Vertiefungsteil
neben der Helfererzählung immer mehr an Bedeutung.
Der Plan für den Kindergottesdienst spiegelt die Entwicklung und
den Streit zwischen textbezogener oder themenbezogener Erzählung
hin zum Text-Themen-Plan wider.
Bei alledem wird das Bemühen um den Perspektivenwechsel zur
besonderen Wahrnehmung der Kinder deutlich, wie er dann auch 1994
in Halle gefordert wurde.
"Kirche mit Kindern" lautet heute der Slogan, der zum
Ausdruck bringen will, dass wir nicht für Kinder, sondern vielmehr
aus der Perspektive der Kinder heraus agieren müssen, ihnen Raum
zur Beteiligung einräumen und einem ganzheitlichen Ansatz Rechnung
tragen, bei dem wiederum die Kinder selbst vorkommen können.
Die geschichtliche Darstellung bringt deutlich zum Vorschein,
dass der Kindergottesdienst einem steten Wandel unterliegt, eine
ecclesia semper reformanda (Kirche in stetem Wandel) ist!
(Diese Ausführungen sind meiner Hausarbeit für das 2.theol. Examen entnommen. Sie stammen vom Juni 2003.)
Die letzte Änderung fand am 02.07.2003 statt.
|
|